Mit ESG geht es los

01.08.2021 · von Matthias Niklowitz

Mit ESG geht es los

Das Ergebnis der ESG-Researchhäuser ist oft sehr unterschiedlich. Je nachdem, welche ESG-Kriterien angesetzt werden, ist das gleiche Unternehmen mal besonders nachhaltig, mal nicht. Das hat Folgen für den Anleger.

Je mehr Nachhaltigkeitskriterien ein Unternehmen veröffentlicht, desto besser steht es bei ESG-Researchhäusern da, das ist das Ergebnis einer Untersuchung aus dem Jahr 2019, durchgeführt von der Chicago Booth School of Business, einer der renommiertesten Managerschulen in den USA. Ziel der Untersuchung war es, Einblicke in das „Greenwashing“ zu gewinnen, die zunehmend verbreitete Praxis von Firmen, sich umweltfreundlicher und sozialer darzustellen, als sie eigentlich sind. Das Ergebnis der Studie alarmiert: Weil so viele unterschiedliche Daten gemeldet werden, die nicht immer überprüfbar und vergleichbar sind, ist es nahezu unmöglich, Unternehmen hinsichtlich ihrer Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsaspekte (ESG) seriös zueinander in Relation zu setzen.

Schwer erklärbare Ergebnisse.

Kompliziert wird es vor allem dann, wenn Unternehmen branchenübergreifend verglichen werden sollen. Dann müssen Dutzende unterschiedliche einzelne ESG-Indikatoren analysiert werden. Unternehmen, die über ihre Fortschritte bei der Nachhaltigkeit informieren, picken sich allerdings gerne bevorzugt die Indikatoren heraus, bei denen sie besonders gut dastehen und bei denen die erzielten Verbesserungen sehr augenfällig und positiv sind. Oft sind das dann ausgerechnet auch die Indikatoren, die sich besonders schlecht branchenübergreifend vergleichen lassen. Letztendlich führt das zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen. Der US-Autohersteller Tesla etwa schnitt gemäß dem ESG-Rating des Indexunternehmens Russell einige Zeit lang viel schlechter ab als die großen US-Autohersteller mit ihren Benzin- und Dieselmotorenflotten, so ein Beispiel in der Studie der Chicago Booth School of Business. Schwer vorstellbar, aber je nachdem, wie die ESG-Indikatoren gewählt werden, eben möglich.

Die Studie wartet zudem mit einigen sehr interessanten Überraschungen auf. Die Computerbranche etwa ist inzwischen nach dem Rohöl- und Chemiesektor der größte Energieverbraucher, und die Lebensmittelhersteller sind die weltweit größten Süßwasserverbraucher. Im Einzelhandel ist zwar der Frauenanteil besonders hoch, aber hier sind auch die Löhne und die Jobsicherheit schlecht. Modeketten wiederum haben eine besonders gut durchmischte Belegschaft, aber auch hier wird eher unterdurchschnittlich bezahlt.

Kaum Zusammenhänge zwischen den Einschätzungen.

Wenn ein Unternehmen bei einem ESG-Gesamtindex eines einzelnen Researchhauses gut wegkommt, bedeutet das nicht, dass es bei einem anderen Bewerter auch gut wegkommt. Die Überschneidungen zwischen unterschiedlichen ESG-Indexanbietern sind ziemlich gering, wie eine Untersuchung der Wirtschaftszeitung The Economist in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) im Jahr 2019 zeigt. Analysiert wurden die EGS-Einschätzungen der zwei renommierten ESG-Indexanbieter RobecoSAM und Sustain­alytics zu 1.200 Firmen weltweit, darunter praktisch allen DAX-Werten. Das Ergebnis: ESG-Researchhäuser sind sich alles andere als einig, welche Unternehmen bei den Nachhaltigkeitskriterien gut oder schlecht abschneiden. Es ist bestenfalls ein lockerer Zusammenhang der Bewertungen erkennbar. Das ist auch dann der Fall, wenn man die einzelnen ESG-Komponenten, also die Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsaspekte, separat vergleicht. Auch dann ist nur eine sehr grobe Übereinstimmung festzustellen.

Daraus ergibt sich für den an Nachhaltigkeit interessierten Anleger: Die ESG-Bewertungen der Researchhäuser dürfen nicht der Endpunkt, sondern müssen vielmehr der Ausgangspunkt für vertiefte weitere Fragen sein, die Investoren an einzelne Unternehmen hinsichtlich ihrer Umsetzung von ESG-Kriterien stellen. Einige große Fondsgesellschaften und Asset Manager sind deshalb auch schon dazu übergegangen, eigene ESG-Indizes so zu bauen, dass sie sich halbwegs mit anderen Indikatoren außerhalb der ESG-Welt vergleichen lassen.
Fonds und ETFs gleichen sich an. Doch die Indikatoren, welche die ESG-Researchhäuser für die Bewertung einzelner Firmen verwenden, gleichen sich langsam, aber zunehmend an. Zudem hilft bei ESG-Produkten wie Fonds oder ETFs oft der rasche Blick auf die größten zehn bis 20 Positionen: Hier finden sich selbst bei spezialisierten ESG-Fonds und ETFs oft nur wenige gemäß einschlägigen Kriterien als nachhaltige Unternehmen geltende Aktien, wie ein Vergleich der Credit Suisse ergab. Darunter befanden sich überdurchschnittlich viele große Tech-Werte.
Und auch die konventionellen Fonds werden zunehmend „grüner“. Die Fonds- und Indexfirma Morningstar verglich Ende 2020 die Zusammensetzung der Investoren bei 30 großen Firmen im Bereich nachhaltige Energieerzeugung. Die Aktien jeder dieser Firmen lagen Ende 2020 in 138 ESG-Fonds. Ende 2019 waren es noch 81 Fonds gewesen. Die Aktien befanden sich Ende 2020 aber auch in durchschnittlich 624 Nicht-ESG-Fonds, was fast einer Verdopplung gegenüber Ende 2019 entsprach.

Erklären lässt sich diese Konvergenz zwischen ESG- und konventionellen Fonds mit der zunehmenden Reife vieler ESG-Teilbereiche. Wind- und Solarfirmen beispielsweise wuchsen in den 2000er-Jahren, angetrieben von großzügigen Subventionen und Steuererleichterungen, rasant. Seither sind die Hilfen stark reduziert worden, die Industrie hat konsolidiert, und diejenigen Firmen, die überlebt haben, gedeihen. Sie wurden damit Teil der traditionellen Investmentwelt, die auch außerhalb von ESG-Kriterien anlegt. Somit setzt sich ESG auf breiter Front durch, auch wenn es bei den konkreten Einzelanalysen durch die Researchhäuser noch Unterschiede gibt.

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Matthias Niklowitz ist Wirtschaftsjournalist und Industrieanalyst in Zürich. Zu seinen Themen zählen Innovationen, neue Technologien und die nachhaltige Wirtschaft. ESG-Anlagen zählen für den studierten Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler zu den sinnvollsten Entwicklungen in der Wirtschaft überhaupt, weil hier der Markt und die ökologische Zukunft zusammentreffen.