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Automobilindustrie – Verschlafene Zukunft

07.07.2023 · von Holger Bosse

Ganze Autokarosserien in einem „Schuss“? Theoretisch möglich

In atemberaubender Geschwindigkeit verschließt die Maschine. Riesige Kolben pressen die Platten zusammen. „Da drückt das Gewicht des ganzen Eiffelturms drauf. Über 9.000 Kilonewton“, sagt der Pressesprecher mit sichtbaren Stolz. Und schon öffnet die Maschine wieder, ein Gussteil fällt heraus, ein Teil vom Unterboden eines E-Autos. Fertig. Nächster „Schuss“, wieder drückt die Maschine mit der Kraft des Eiffelturms zusammen. So, sagt man mir später, sieht in Zukunft die Autoproduktion aus. Schweißen und Nieten war gestern, heute wird gegossen und kräftig gedrückt. Dadurch lassen sich großformatige Gussteile herstellen, die viele Bauteile umfassen, die zuvor aufwendig einzeln zusammengeschweißt oder genietet werden mussten. 70 Bauteile in einem Gusselement, kein Problem.

Und schon warten die nächsten Druckgussmaschinen auf ihren Einsatz, noch größer, noch stärker, mit noch großformatigeren Möglichkeiten. Am Ende, so eine Vision, könnte die gesamte Karosserie in einem „Schuss“ hergestellt werden, in wenigen Sekunden, wofür man früher noch einige Stunden, wenn nicht gar Tage benötigt hatte. Das spart Zeit und vor allem Geld. Und noch ein Vorteil bietet das Druckgussverfahren in der Autoproduktion: Die hergestellten Bauteile sind aus Aluminium und damit sehr leicht. Ideal für E-Autos, die Gewicht sparen müssen, um möglichst weit fahren zu können.

Druckguss wird die Automobilproduktion völlig neu definieren, heißt es in der Branche. Erste Modelle mit großformatigen Druckgusselementen gibt es schon, zum Beispiel von Tesla das Modell Y. Auf Druckguss setzen auch die Chinesen. Das Start-up Xpeng hat auf der jüngsten Automesse in Shanghai im April ein Modell vorgestellt, bei dem sowohl der Karosserierahmen als auch Teile des Bodens, in den wie bei Tesla die Batterien integriert sind, im Druckgussverfahren hergestellt wurden.

Und was ist mit Deutschland?, schießt es mir durch den Kopf. Könnten wir nach dem Verschlafen der E-Mobilität erneut wie Dornröschen schlummern und auf Schweißen und Nieten setzen, ganz in unserer uralten Tradition? Zwar haben Hersteller wie Audi, BMW oder Mercedes Gussbauteile in der Karosseriestruktur, jedoch noch keine großflächigen Bauelemente oder gar ganze Karosserien, lese ich später in einer Studie. Einzig VW will ab 2026 in einem neuen Werk verstärkt auf Druckguss setzen. Ehrlich gesagt, mir schwant Böses. Wir, die Autonation, könnten zum wiederholten Mal ins Hintertreffen geraten. Bitte nicht schon wieder!

Holger Bosse

Mit rund 20 Jahren Berufserfahrung im Investmentbanking, die meiste Zeit davon im Derivatebereich, kennt Holger Bosse das Börsengeschäft aus dem Effeff. Seit 2011 arbeitet er freiberuflich als Autor und Seminarleiter für Kapitalmarkttheorie.

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