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Deutsche Wirtschaft - Die Börse braucht noch Zeit
Fallende Zinsen sind noch kein Kaufsignal
Die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal geschrumpft, nicht viel, aber etwas. Das Bruttoinlandsprodukt verringerte sich preis-, saison- und kalenderbereinigt im Vergleich zum Vorquartal um 0,1 Prozent. Das ist im laufenden Jahr das erste Minus. Und es hätte ruhig mehr sein können, von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten nämlich mit einem Minus von 0,3 Prozent gerechnet. Aber gut, ein Minus ist ein Minus. Die Meldung kam am Montag. Und gleich dazu wurden auch die aktuellen Inflationszahlen bekannt gegeben, und auch hier eine „gute“ Nachricht: Die Inflation ist im Oktober in Deutschland mit 3,8 Prozent auf den niedrigsten Wert seit Beginn des Ukraine-Kriegs gesunken.
An der Börse wurden beide Zahlen positiv aufgenommen, weil sie nahelegen, dass es vorerst zu keiner weiteren Zinserhöhung durch die Europäische Zentralbank kommen wird. Wenn die Wirtschaft schwächelt – und das tut sie auch auf europäischer Ebene – und die Inflation rückläufig ist, was ebenfalls europaweit festzustellen ist, dann macht es einfach keinen Sinn, die Zinsen anzuheben. Zumal diese Entwicklung auch in den USA festzustellen ist, also auch hier vorerst wohl keine weiteren Zinsschritte nach oben zu erwarten sind.
Für die Aktien ist das gut, denn weitere Zinsanhebungen hätten zu größeren Kapitalverschiebungen raus aus dem Aktienmarkt führen können. Nun dürfte hingegen eine Phase gleichbleibender Zinsen anstehen, und damit kann die Börse gut leben. Allerdings kann ich damit noch keine Entwarnung für den Aktienmarkt geben. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass der Markt eine gewisse Zeit benötigt, um ein neues Zinsumfeld einzuarbeiten. Nehmen wir zum Beispiel den Zeitraum Oktober 2008 bis Mai 2009. Damals wurden die Zinsen von der EZB in mehreren Schritten von 4,25 auf 1 Prozent gesenkt. Der DAX benötigte aber vom Moment der ersten Zinssenkung an bis zu seinem Tief rund fünf Monate. Noch länger dauerte es nach dem Platzen der Technologieblase. Im Mai 2001 wurden die Zinsen zum ersten Mal von der EZB gesenkt. Der DAX fiel aber weiter und erreichte erst im März 2003 sein Tief.
Läuft es diesmal ähnlich, könnte der DAX auch in den kommenden Monaten tendenziell noch unter Druck stehen, auch wenn die EZB anfängt, die Zinsen zu senken. Wann genau der richtige Einstiegszeitpunkt ist, lässt sich derzeit schwer sagen. Sicher scheint nur eins, es drängt im Moment mit Aktienkäufen nicht, aber sie liegen gewiss auch nicht mehr in ferner Zukunft.
Holger Bosse
Mit rund 20 Jahren Berufserfahrung im Investmentbanking, die meiste Zeit davon im Derivatebereich, kennt Holger Bosse das Börsengeschäft aus dem Effeff. Seit 2011 arbeitet er freiberuflich als Autor und Seminarleiter für Kapitalmarkttheorie.
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