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Digital diktiert

Unser Land soll digital werden – zur Freude des TecDAX
Vor einigen Tagen musste ich meinen Personalausweis verlängern. Also ab ins Internet, auf die Seite der Gemeinde. „Erlebt, was geht“, begrüßte mich der Gemeindevorstand, und mit ein paar Klicks war die Sache dann auch schon erledigt.
O. k., jetzt haben Sie mich beim Flunkern erwischt. Natürlich konnte ich meinen Ausweis nicht online verlängern, persönlich musste ich zum Gemeindeamt und Papiere ausfüllen. Natürlich, was sonst, wir sind ja in Deutschland. Was in anderen Ländern längst Alltag ist – bei uns funktioniert das digitale Bürgerbüro nur hier und da, und dann auch nur bei ausgesuchten Anfragen. Und der Slogan „Erlebt, was geht“ ist auch gar nicht von meiner Gemeinde, sondern von Ceconomy, dem börsennotierten Mutterkonzern von Mediamarkt und Saturn. Und genau von diesem Unternehmen kommt nun der neue Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung, Karsten Wildberger. Unser „Digitalminister“, wie er auch gern genannt wird, soll Deutschland endlich fit für das 21. Jahrhundert machen – reichlich spät, aber immerhin wurde das Problem erkannt.
Das hat man lange Zeit gar nicht richtig gesehen. Bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren, als die Digitalisierung zwar noch in den Kinderschuhen steckte, aber bereits deutlich zu erkennen war, setzte Deutschland unter Helmut Kohl auf Kabel- statt Internet-TV. Glasfasern wären verfügbar gewesen, waren aber politisch nicht gewünscht. Die Freundschaft Kohls zu Fernsehmogul Leo Kirch hat möglicherweise dazu beigetragen, dass Deutschland auf überholte Technik setzte und nun der Entwicklung rund 30 Jahre hinterherhinkt. Dass man dies nun durch das eilige Verlegen von Glasfasern aufzuholen versucht, ist wenig hilfreich, da auch Glasfaser mittlerweile nicht mehr das Nonplusultra ist. In den USA setzt man auf Datenübertragung via Satellit, und das wird auch bei uns kommen. Das Glasfaserkabel im Boden, vor meiner Haustür ohnehin nur dürftig von der Deutschen Telekom verscharrt, kann dann wieder rausgerissen werden.
Man sieht, mit der Digitalisierung in Deutschland läuft es mehr als schleppend. Die Ernennung von Karsten Wildberger kann da nur Positives bewirken. Unter seiner Führung wurden schon Mediamarkt und Saturn digitaler, nun soll er es quasi eine Nummer größer machen, nämlich das ganze Land „online stellen“. Deswegen freut man sich auch an der Börse über den neuen Digitalminister, was man unter anderem daran sieht, dass der TecDAX seit Amtsantritt der neuen Bundesregierung den DAX outperformen konnte. Deutschlands „Digitalindex“ im Aufwind, das macht Hoffnung.
Nur schade, dass Karsten Wildberger seine Ernennungsurkunde vom Bundespräsidenten auf Papier erhalten hat. Typisch deutsch halt, so wie der Antrag auf Verlängerung meines Personalausweises. Den konnte ich schon im Internet finden, ich musste ihn dann aber ausdrucken, unterschreiben und persönlich abgeben.
Olaf Hordenbach
Olaf Hordenbach ist Chefredakteur des Kundenmagazins von BNP Paribas MÄRKTE & ZERTIFIKATE. Zuvor war er über viele Jahre Chefredakteur eines großen deutschen Börsenmagazins. Nun ist er seit 17 Jahren selbstständiger Finanzjournalist.
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