Nachhaltig investieren
Das 1,5-Grad-Ziel könnte verfehlt werden
Sommerliche Wärme und Gewitter, ein rekordwarmer östlicher Atlantik - und dabei setzt der El Niño erst so richtig ein: 2023 könnte ein weiteres rekordwarmes Jahr in Europa werden. Gemäß Inevi-table Policy Response, einem Konsortium, das institutionelle Investoren auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet, steuern wir derzeit eher auf ein 1,8-Grad-Szenario zu. Das 1,5-Grad-Ziel würde damit übertroffen. Was nach einem kleinen Unterschied klingt, hat große Folgen: Jedes Zehntelgrad mehr Erwärmung bedeutet mehr Hitzeextreme, Dürren, Starkregen und Niederschlagsdefizite. Rasches Handeln erscheint deshalb alternativlos. Und tatsächlich passiert einiges. Inevitable Policy Response hat seit 2021, als die Cop-26-Konferenz in Glasgow stattgefunden hatte, 331 Ankündigungen zu größeren Klimareduktionsprojekten gezählt. Von denen ist rund die Hälfte geeignet, ein 1,8-Grad-Ziel bis zum Jahr 2100 einzuhalten. Und es gab in den vergangenen Quartalen weltweit eine deutliche Beschleunigung entsprechender Ankündigungen.
Um ein 1,5-Grad-Ziel umzusetzen, bedarf es deutlich mehr. Vor allem müsste viel mehr Geld in Projekte fließen, mit denen CO2 aus der Luft entnommen wird. Schätzungen gehen davon aus, dass man weltweit 500 Gigatonnen dieses Treibhausgases aus der Atmosphäre entfernen müsste. Erforderlich ist eine Kombination von Maßnahmen. Einerseits ist das der Bau von gewaltig großen entsprechenden CO2-Entnahmeanlagen. Andererseits müsste das Abholzen der tropischen Regenwälder eingestellt werden. Besser als die Entfernung ist eine Vermeidung der Emissionen. Hier sind den OECD-Staaten, einem Club westlicher Industrieländer, etwas die Hände gebunden.
Die Nicht-OECD-Staaten verursachen rund die Hälfte der weltweiten Emissionen. China hat sein Netto-Null-Ziel auf das Jahr 2060 angesetzt, Indien verspricht es für das Jahr 2070. In Europa dominiert bei den Maßnahmen eine industrielle Dekarbonisierung mit großen Anlagen sowie – ergänzend – der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Ob alle ambitiösen Pläne, die jeweils auch Industrieförderprogramme sind und bei denen viele neue Hightech-Jobs und Firmen geschaffen werden, die kommenden Wahljahre in Europa unbeschadet überstehen, ist eine andere Frage. Denn das große EU-Förderprogramm wird die Inflationsraten kaum bremsen – und damit werden sich die Budgets der Privathaushalte für Energie und Energiesparmaßnahmen eher noch weiter verteuern.
Sichtbar sind erste Effekte des IRA-Programms in den USA. Inevitable Policy Response schätzt die Zahl der neu geschaffenen Stellen auf 65.000. Neben den großen Versorgern drängen zunehmend auch Start-ups an die Fördertöpfe – sie haben in den USA hinsichtlich der Suche nach Risikokapital bessere Voraussetzungen. Für Investoren sind das grundsätzlich gute Nachrichten. Allerdings müsste die Entwicklung weiter beschleunigt werden. Dann ließe sich für einige Jahre auch eine Erwärmung auf 1,8 Grad verkraften – wenn danach eine Abkühlung wieder zurück auf 1,5 Grad erfolgt.
Aufgrund der zunehmenden Bedeutung von nachhaltigem Investieren berichtet Märkte & Zertifikate weekly an dieser Stelle jede Woche über Neuigkeiten am ESG-Markt sowie über die vielfältigen Aktivitäten von BNP Paribas in diesem Bereich.
Matthias Niklowitz
Matthias Niklowitz ist Analyst und Journalist in Zürich (Schweiz). Themenbereiche sind Innovationen, Nachhaltigkeit und Technologie. Nach dem Studium in Zürich (Sozial-, Umwelt- und Wirtschaftswissenschaften) arbeitete er in der universitären Forschung, bei Wirtschaftsmedien, in Banken und in Think Tanks in der Schweiz, in Frankreich, in Grossbritannien und in Deutschland. Matthias Niklowitz ist verheiratet, zur ganzen Familie gehören vier Kinder.
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