Nachhaltig investieren
Pragmatismus ist das EU-Gebot der Stunde
Höhere Preise in den Supermärkten, mehr Geld für für Ferienreisen und in vielen Bereichen des Onlinehandels – die Konsumierenden spüren die Folgen der hohen Inflationsraten. Auch wenn sich die Geldentwertung inzwischen auf einem etwas tieferen Niveau stabilisiert hat – kaum jemand hat jetzt noch Geld für teure nachhaltige Produkte übrig. Umfragen in Europa stützen das: Jüngste Befragungen von Konsumierenden zeigen nur eine geringe Bereitschaft, eine „grüne Prämie“ für Produkte mit kleinem ökologischem Fußabdruck zu bezahlen. Wenn eine solche Bereitschaft vorhanden ist, dann erwarten die Konsumierenden weitere Vorteile, wie beispielsweise einfachere Nutzungs- und Verbrauchsmöglichkeiten.
In der europäischen Politik und in der Nachhaltigkeitsdiskussion ist deshalb „Pragmatismus“ das Wort der Stunde, sagen die Analysten der US-Investmentbank Jefferies: Wenn es jetzt nach jahrelanger Planung um konkrete Umsetzungen in der europäischen Wirtschaft geht, sind keine theoretischen Debatten über wünschenswerte ferne Ergebnisse, sondern rasch sichtbare konkrete Fortschritte gefragt. Eine pragmatische Förderung soll neue Technologien so gut wie möglich über die bisherige Infrastruktur nutzbar machen. Ein Beispiel ist die Wasserstoffnutzung für Autos. Wasserstoff als Ersatz für fossile Treibstoffe lässt sich über das bestehende Tankstellennetz verteilen. Die Konsumierenden müssen keine Umwege fahren, und auch der Tankvorgang ist so einfach wie bisher. Nachhaltig erzeugte Flugzeugtreibstoffe sind ein weiteres Beispiel: Diese künstlich und mit erneuerbarer Energie aus der Umweltluft hergestellten Treibstoffe können als Ergänzung und später als Ersatz für die bisherigen genutzt werden. Die Produktionsanlagen werden derzeit aufgebaut. Deutlich weniger weit ist man bei „grünem Methanol“ oder „erneuerbarem Diesel“. Hier müssen die Testanlagen für die Massenproduktion erst noch gebaut werden. Vielfach zeigt sich, dass die Vorprodukte nicht überall in ausreichender Qualität verfügbar sind.
Pragmatisch nutzbar sind heute Technologien, die vier Kriterien erfüllen: Sie müssen mit der heutigen Infrastruktur kompatibel sein. Zudem müssen sie mindestens mittelfristig kommerziell attraktiv, also billiger oder gleich teuer sein wie die bisherigen Mittel. Weiter müssen sie zum Rückgang bei den Emissionen beitragen. Schließlich müssen sie heute kommerziell verfügbar und investierbar sein, um weitere Investoren anzuziehen. Es gibt in der Politik auch Gegner dieses pragmatischen Vorgehens. Sie argumentieren einerseits mit den ursprünglichen Reduktionszielen, die sich, wenn man hier gleich vom Beginn weg vom „richtigen“ Absenkungspfad abkommt, später kaum noch aufholen lassen. Andererseits gibt es auch Stimmen, die argumentieren, dass eine zu hart in Richtung Nachhaltigkeit regulierte europäische Industrie im globalen Wettbewerb kaum erfolgreich bestehen kann. Pragmatismus überbrückt diese Gegensätze – und dieser Weg ist oft auch kommerziell machbar.
Aufgrund der zunehmenden Bedeutung von nachhaltigem Investieren berichtet Märkte & Zertifikate weekly an dieser Stelle jede Woche über Neuigkeiten am ESG-Markt sowie über die vielfältigen Aktivitäten von BNP Paribas in diesem Bereich.
Matthias Niklowitz
Matthias Niklowitz ist Analyst und Journalist in Zürich (Schweiz). Themenbereiche sind Innovationen, Nachhaltigkeit und Technologie. Nach dem Studium in Zürich (Sozial-, Umwelt- und Wirtschaftswissenschaften) arbeitete er in der universitären Forschung, bei Wirtschaftsmedien, in Banken und in Think Tanks in der Schweiz, in Frankreich, in Grossbritannien und in Deutschland. Matthias Niklowitz ist verheiratet, zur ganzen Familie gehören vier Kinder.
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