Nachhaltig investieren
„Rationale Nachhaltigkeit“ soll ESG-Kontroversen entschärfen
Themen wie die neuen Verhältnisse bei der Klima-Finanzierung, die Relevanz von ESG für die langfristige Wertentwicklung von Aktiengesellschaften und der Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI) auf das Verhältnis von Investoren und Firmen dominierten die beiden wichtigsten großen Nachhaltigkeitskonferenzen, die im März in Washington, D.C., in den USA stattgefunden haben. Sowohl der Council of Institutional Investors als auch die International Corporate Governance Network Conference zählen zu den wichtigsten globalen Foren, an denen sich sehr gut der Puls der aktuellen Entwicklung bei nachhaltigen Finanzanlagen fühlen lässt.
Zunächst wird die Dekarbonisierung als robuster globaler Megatrend wahrgenommen – unabhängig von den kurzfristigen Stimmungs- und Meinungsschwankungen in Politik und Gesellschaft. Eine sehr starke Stütze sind hier große Investitionsprogramme wie der Inflation Reduction Act (IRA) in den USA und der Net Zero Industry Act in der EU. Damit wurde und wird nicht nur sehr viel Geld in aufstrebende neue Industrien gelenkt. Man senkt auch die Zugangs- und Nutzungshürden für viele Menschen und Firmen, die keinen Aufpreis für nachhaltige Produkte zahlen möchten.
In einigen Branchen verschieben sich derzeit bereits die Gewichte. In weiteren wie etwa bei E-Autos ist die weitere Entwicklung derzeit offener, als man das noch vor zwei, drei Jahren angenommen hatte. Man geht aber davon aus, dass auch hier Preis-Leistungs-Überlegungen mittelfristig eine entscheidende Rolle übernehmen werden – und dann spricht wieder viel für die E-Mobilität. Das spiegelt sich nicht in den Aktienkursen wider – die E-Auto-Hersteller werden derzeit nicht mit einer Prämie gehandelt. Man war sich bei den Diskussionen einig, dass die Bezeichnung als ESG nicht genügt, um alles, was mit Nachhaltigkeit zu tun hat, angemessen zu beschreiben. Der Ökonom Alex Edmans schlägt deshalb den Begriff „rationale Nachhaltigkeit“ vor. Dahinter steht das langfristige Ziel, nachhaltig Mehrwert zu schaffen, der alle materiellen Faktoren umfasst – ob diese jetzt als ESG bezeichnet werden, ist dabei nicht entscheidend. „Rational“ bedeutet hier, dass sich der Ansatz auf Analysen und Evidenz, also auf Wirkungen, stützt.
Und natürlich spielt das Thema KI auch hier eine wichtige Rolle. Die Flut neuer Daten in den vergangenen 20 Jahren hat nicht die erhofften Produktivitätssteigerungen gebracht, weil dadurch vielerorts der Überblick verloren ging. Die KI hat das Potenzial, diesen Überblick wiederherzustellen, indem Daten automatisch viel rascher zusammengeführt und konsolidiert werden können – und dann wird auch die Entscheidungsfindung für die Aktionäre einfacher. Die KI soll keinesfalls selbst entscheiden, aber immerhin die Entscheidungen für die Top-Manager vorbereiten. Dazu gehört auch, dass das Führungspersonal die aktuellen und zukünftigen Chancen und Risiken besser erkennt und dementsprechend handelt. Derzeit – so das Fazit – stehen hier alle noch in der Lernphase.
Aufgrund der zunehmenden Bedeutung von nachhaltigem Investieren berichtet Märkte & Zertifikate weekly an dieser Stelle jede Woche über Neuigkeiten am ESG-Markt sowie über die vielfältigen Aktivitäten von BNP Paribas in diesem Bereich.
Matthias Niklowitz
Matthias Niklowitz ist Analyst und Journalist in Zürich (Schweiz). Themenbereiche sind Innovationen, Nachhaltigkeit und Technologie. Nach dem Studium in Zürich (Sozial-, Umwelt- und Wirtschaftswissenschaften) arbeitete er in der universitären Forschung, bei Wirtschaftsmedien, in Banken und in Think Tanks in der Schweiz, in Frankreich, in Grossbritannien und in Deutschland. Matthias Niklowitz ist verheiratet, zur ganzen Familie gehören vier Kinder.
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