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Spinnt der Herr Hordenbach?

DAX 30.000 bis Jahresende scheint für den Autor in Reichweite
„Buy Europe, sell America“, hat mir vor wenigen Tagen ein Börsenhändler zugerufen. O. k., so schnell kann es gehen. Noch vor einigen Monaten galt Europa als „kranker Mann“ der Weltwirtschaft, nun empfehlen Analysten europäische Aktien zum Kauf. Und das hat Folgen. Auch wenn noch keine endgültigen Zahlen über den internationalen Kapitalverkehr vorliegen, so zeigt sich dennoch eine grobe Richtung. Allein im Zeitraum Januar bis Ende Mai 2025 sollen rund 48 Milliarden Euro in europäische Aktienfonds geflossen sein.
O. k., das ist erst einmal nicht ungewöhnlich, wird aber dann zu einer Meldung, wenn man gleichzeitig schaut, wie viel Geld in US-Aktienfonds geflossen ist, nämlich unter dem Strich nur 15 Milliarden Euro, mit stark abnehmender Tendenz. Am Markt macht sich eine „Sell-America-Stimmung“ breit, wird berichtet. Sie resultiert zum einen aus der sehr schwankungsfreudigen Politik von Donald Trump – vor allem im Hinblick auf die Zölle –, aber auch schlichtweg aus der Tatsache, dass europäische Aktien im Schnitt deutlich günstiger als amerikanische sind. Nun, das ist nichts Besonderes, US-Aktien waren in der Vergangenheit meist teurer, was die Anleger nicht vom Kaufen abgehalten hat, doch in Kombination mit dem Faktor Trump hat sich nun die Einstellung geändert. Es bleibt die Frage, wie nachhaltig diese Entwicklung ist. Das ist noch nicht so ganz sicher. Denn die USA sind und bleiben ja erst einmal die größte und mächtigste Volkswirtschaft der Welt, mit extrem findigen Unternehmen. Am Ende führt kein Weg am amerikanischen Kapitalmarkt vorbei, das ist sicher. Und dennoch: Sollte der Kapitalzufluss nach Europa so weitergehen, hätte das natürlich gewaltige Auswirkungen auf heimische Aktien, insbesondere auch auf den DAX. Im ersten Halbjahr hat der deutsche Aktien-index ja um fast 20 Prozent zugelegt. Unterstellen wir mal, nur als Szenario, dass es so auch im zweiten Halbjahr weitergeht, dann haben wir gute Chancen auf einen DAX-Stand Ende Dezember 2025 bei etwa 29.000 Punkten. Und da Börsianer „runde Zahlen“ lieben, tippe ich mal auf die 30.000-Punkte-Marke.
Na ja, jetzt spinnt er aber, der Herr Hordenbach, denken Sie vielleicht? Na ja, bestimmt. Man muss an der Börse auch schon etwas spinnert sein, um das alles mitzumachen. Was aber helfen könnte, das Hin und Her zu durchschauen, ist ein Blick auf den Währungsmarkt. Hier werden täglich mehrere Billionen Dollar gehandelt, am Aktienmarkt sind es „nur“ einige Hundert Milliarden. Der Währungsmarkt ist daher irgendwie näher an der „Wahrheit“. Aber auch am Währungsmarkt gibt es anscheinend eine „Sell-America-Stimmung“, denn der Dollar hat gegenüber dem Euro im ersten Halbjahr um mehr als 12 Prozent abgewertet. Dieses Doppelpaket aus Aktien und Währungen, die in die gleiche Richtung tendieren, das macht die 30.000 Punkte im DAX gar nicht so unwahrscheinlich.
Olaf Hordenbach
Olaf Hordenbach ist Chefredakteur des Kundenmagazins von BNP Paribas MÄRKTE & ZERTIFIKATE. Zuvor war er über viele Jahre Chefredakteur eines großen deutschen Börsenmagazins. Nun ist er seit 17 Jahren selbstständiger Finanzjournalist.
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