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Überraschung für Europas Aktien

Das „Projekt Europa“ lebt. Das ist gut für europäische Aktien.
Die Erleichterung am Finanzmarkt war zu spüren – Frankreich bleibt der Rechtsruck erspart. Bei den zurückliegenden Parlamentswahlen wurde der rechtsnationale Rassemblement National nur drittstärkste Kraft, Umfragen hatten einen Sieg der Rechten erwarten lassen. Das ist insofern erfreulich, als der Rassemblement National dem „Projekt Europa“ sehr kritisch gegenübersteht. Auch wenn sich die Partei um Marine Le Pen zuletzt gemäßigt äußerte und keinen Austritt Frankreichs aus der EU mehr gefordert hatte, bleibt der europäische Einheitsgedanke bei den Rechten verpönt.
Doch die Kuh ist nicht vom Eis, wie mir ein politischer Beobachter versichert. Statt der Rechten haben nun die Linken einen Sieg errungen. Und die sind nicht minder europaskeptisch. Die Regierungsbildung in Paris wird eine Herausforderung. Da kommt es gerade zur richtigen Zeit, dass Großbritannien der EU die Hand reicht. Keir Starmer, der neue Premierminister in London, ist Brexit-Gegner. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Briten im Austritt ihres Landes aus der EU mittlerweile einen Fehler sieht. Ein schneller Wiedereintritt Großbritanniens ist allerdings schwierig, das Land muss wie jeder andere Beitrittskandidat zuvor alle Hürde meistern. Während die Wahlen in Frankreich und Großbritannien medial auf große Aufmerksamkeit stießen, wurde das Ergebnis in Belgien kaum behandelt. Und auch hier gewannen im Juni europaskeptische Parteien. Ein ähnliches Ergebnis ist wohl auch bei den anstehenden Wahlen in Österreich zu erwarten, die Ende September stattfinden.
Das „Projekt Europa“ steht auf der Kippe, oder doch nicht? Wir erinnern uns, auch die Gründung der USA war ein langwieriger schwieriger Prozess, mit viel Widerstand. Die Loyalisten hielten lange zur britischen Krone. Insofern bleibe ich voller Hoffnung für Europa und empfehle europäische Aktien. Die sind nämlich vergleichsweise günstig bewertet. Mit einem 12-Monats-KGV von 13 für den DAX und 14 für den Euro Stoxx 50 ist Europa nach wie vor deutlich attraktiver als die USA. Der S&P 500 weist ein KGV von über 20 auf. Die niedrige Bewertung europäischer Aktien ist natürlich auch den politischen Unsicherheiten geschuldet und wird sich nicht von heute auf morgen abbauen. Doch das ist genau der Reiz für Anleger. Fallen die anstehenden Wahlen, auch die Landtagswahlen in Deutschland, anders als erwartet aus, könnte der europäische Aktienmarkt den amerikanischen für einige Zeit outperformen.
Holger Bosse
Mit rund 20 Jahren Berufserfahrung im Investmentbanking, die meiste Zeit davon im Derivatebereich, kennt Holger Bosse das Börsengeschäft aus dem Effeff. Seit 2011 arbeitet er freiberuflich als Autor und Seminarleiter für Kapitalmarkttheorie.
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